Unsere Geschichte mit Sara

Dies ist unsere Geschichte mit Sara
Von Stefanie Riedel

Im Juli 2009, mitten in den Sommerferien, klingelte bei uns eines Tages das Telefon. Markus (damals 44 Jahre alt) führte ein ziemlich langes Gespräch. Der Teil des Gesprächs, den ich, Stefanie (damals 39 Jahre alt), hören konnte, klang interessant, aber ich konnte nicht erraten, um was es ging. Es gelang mir nicht einmal herauszufinden, wer am anderen Ende der Leitung sein könnte. Im Anschluss an das Gespräch berichtete Markus, das sei Matthias gewesen. Ein Mann, den er aus seiner Jugendzeit in Bremen kannte. Seit beinahe 30 Jahren hatte er nichts von ihm gehört. Er war inzwischen Arzt geworden und in dieser Funktion reiste er immer wieder nach Kabul in Afghanistan, um dort bei der medizinischen Versorgung von kranken und schwerstkranken Kindern zu helfen. Manche Kinder waren so schwer krank, dass sie für eine Operation nach Deutschland geholt wurden, wo es zu der Zeit eine Kooperation mit der MHH gab.  Nun hatte Matthias ein Problem: In zwei Wochen würden drei Kinder aus Kabul nach Hannover kommen, um hier in der MHH operiert zu werden, aber es gab noch keine Gastfamilien, bei denen sie vor und nach dem Krankenhausaufenthalt wohnen konnten und die auch bereit wären, als Ersatzeltern zu fungieren und sich während des Klinikaufenthalts um sie zu kümmern. Die Kinder durften wegen der medizinischen Indikation nach Deutschland kommen, jedoch nur ohne ihre Eltern.
Matthias erinnerte sich also daran, dass er mal gehört hatte, Markus würde mit seiner Familie in Hannover wohnen und so wendete er sich an uns mit der Frage, ob wir uns vorstellen könnten, in zwei Wochen ein afghanisches Kind als Pflegekind bei uns aufzunehmen für etwa ein Vierteljahr, aber so genau könne man das nicht sagen.
Ehrlich gesagt, war das einer der Momente im Leben, wo man nicht lange nachdenkt. Uns war beiden sehr schnell klar, dass wir nur ja sagen konnten. Unsere Bedenken, weil wir kein Gästezimmer hatten, räumte Matthias aus, indem er uns erklärte, dass die Kinder in Afghanistan es nicht gewohnt seien ein Zimmer für sich allein zu haben, und so könnten wir unser Gastkind durchaus mit einem unserer eigenen vier Kinder in einem Zimmer unterbringen.
Das Kind, das am 22.07.2009 für genau 100 Tage bei uns einzog, war Sara, die damals 7 Jahre alt war. Sie kam her, weil sie eine künstliche Herzklappe benötigte. Die erste Zeit war für sie sehr schwer. Natürlich, denn alles war fremd. Sie verstand unsere Sprache nicht und wir nicht ihre. Mama und Papa waren weit weg und sie schwer krank. Versteht ein siebenjähriges Kind so etwas?
Ich weiß es nicht. Am ersten Tag hat sie fast nur geweint. Wir hatten sie sehr viel auf dem Schoß und alle gemeinsam haben wir versucht sie abwechselnd zu trösten und abzulenken. Ziemlich bald entdeckten wir das Memory-spielen als gute Möglichkeit, sie abzulenken und ihr einfache deutsche Wörter beizubringen. Dennoch konnte das sie zunächst nicht darüber hinweg trösten, dass sie verzweifelt war. Nach einer Weile weinte sie wieder mehr und wollte sich auch nicht mehr beruhigen lassen. Ich begann mir allmählich ernsthaft Sorgen zu machen: Was, wenn sie Schmerzen hatte und uns das nicht mitteilen konnte? Schließlich war sie schwer krank. Also beschloss ich mich mit ihr auf den Weg zum Sahlkampmarkt zu machen. Dort im Internetcafé, wo wir auch die afghanische Telefonkarte gekauft hatten, sprach der Inhaber ihre Sprache. Ich machte mich also mit ihr auf den Weg und bat den Cafébesitzer mit ihr zu sprechen und sie zu fragen, ob sie Schmerzen hätte oder so. Er erfuhr, dass es ihr gut ging, sie aber Mama und Papa ganz furchtbar vermisste. Da schlug der Besitzer des Cafés vor, wir könnten seine Frau und seine Kinder besuchen. Was für eine tolle Idee…. Und was für eine Gastfreundschaft…. Wir nahmen das Angebot sofort an und Sara hatte einen schönen Nachmittag mit Kindern, die ihre Sprache sprachen. – Und wir hatten liebenswerte, tolle, freundliche Leute getroffen, die wir ohne Sara niemals kennengelernt hätten. Eine von vielen wunderschönen Erfahrungen.
Markus machte einige Tage später mit Sara einen kleinen Spaziergang. Dabei schaute er auch im Blumenladen von Mehdi vorbei, um Blumen für mich zu kaufen. Markus und Mehdi kamen ins Gespräch, und Mehdi wunderte sich über das kleine Mädchen, das Markus bei sich hatte und das so gar nicht zu ihm zu passen schien. Markus erzählte in wenigen Worten Saras Geschichte und dass sie aus Afghanistan sei. Daraufhin sprach Mehdi sie direkt in seiner Sprache an und ihre Augen leuchteten auf. Sie strahlte! Hier war endlich wieder jemand, der sie verstand. Beide unterhielten sich angeregt, daraufhin wurden Mehdi und Ela und ihr Blumenladen zu einer regelmäßigen Anlaufstelle für uns und es entwickelte sich eine Freundschaft, die bis heute besteht.
In den nächsten Wochen fanden immer wieder Voruntersuchungen in der MHH statt und auch zwei stationäre Aufenthalte, einmal wegen einer Lungenentzündung und einmal zur Behandlung ihrer Zähne.
Die übrige Zeit überbrückten wir mit Zoobesuchen, Ausflügen und normalem Alltag. Unsere Kinder spielten gerne mit ihr und auch die Großeltern unserer Kinder bezogen sie wie selbstverständlich in die Familie mit ein.
Im September dann stand die große OP an: Sara bekam eine künstliche Herzklappe. Wir besuchten sie täglich im Krankenhaus und standen ihr bei so gut wir konnten, aber es war dennoch nicht einfach für sie, und als wir sie das erste Mal nach ihrer OP sahen, schien sie fast sauer auf uns zu sein. Wie soll auch ein siebenjähriges Kind all dieses Leiden verstehen…?
Während Sara sich von der OP erholte, kam mehrfach ein Verwandter von ihr aus Stuttgart mit seinen Kindern zu Besuch – wieder jemand, der ihr ein Stück Heimat vermitteln konnte. Medizinisch verlief alles prima und so konnte sie Ende Oktober überglücklich nach Hause zu ihren Eltern fliegen.
Nach einigen Wochen erreichte uns ein Paket aus Afghanistan, das mit liebevollen Geschenken für unsere gesamte Familie bepackt war. Es lag ein Dankesbrief von Saras Eltern bei, die wirklich sehr glücklich und dankbar waren.
Ein- oder zweimal rief Sara sogar noch hier bei uns an, doch ihre wenigen Deutschkenntnisse gerieten allmählich wieder in Vergessenheit, so dass das letzte Gespräch sich darauf beschränkte, dass sie ihren Namen sagte und wir uns unglaublich über ein Lebenszeichen von ihr freuten.
Mehdi und Ela jedoch blieben in Kontakt und über sie tauschten wir ab und zu Grüße aus und erkundigten uns nach Sara. Mehdi und Ela waren es auch, die Sara nun anrief, und die sie um Hilfe bat, als klar wurde, dass sie eine erneute Operation am Herzen brauchte.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Ende der Geschichte ...

Das Projekt hat begonnen!

Sara, das Mädchen aus Afghanistan